Reise nach Sri Lanka


Am nächsten Tag ging es dann weiter Richtung Ostküste nach Batticaloa, wo uns unser Projektpartner „Methodist Church Puhalidam“ (24083) bereits erwartet hat. Nach dem schönen Ritual des Entzündens einer Öllampe, das den Beginn eines jeden Treffens einläutet, haben wir die Mitarbeiter*innen kennengelernt, die die Gründungen der Selbsthilfegruppen überwachen und die Selbsthilfegruppen auf ihrem Weg begleiten. Das Projekt hat sich dazu verschrieben, jenen Kindern zu helfen, die in Not sind. Dazu gehören auch Kinder mit Beeinträchtigung, die Schulbildung, psychosoziale Betreuung, nahrhaftes Essen, Motivation, eine Jobausbildung und medizinische Hilfe erhalten.
Dies gelingt einerseits durch die Selbsthilfegruppen, bei denen Frauen sozial, ökonomisch und politisch gestärkt werden, was zur Verbesserung der Lebensbedingungen der sri-lankischen Familien führt. Viele Frauen haben beispielsweise ein kleines Stück Land oder einen kleinen Garten um ihr Häuschen, wo Palmen wachsen, die die für Sri Lanka typischen King Coconuts tragen. Oder Cashew-Bäume. Cashews etwa können sehr gewinnbringend verkauft werden, da sie teuer sind – die meisten Frauen aber wissen nicht, wie sie das, was sie im Garten zur Verfügung haben, in Profit umwandeln können. Genau hier setzt das Projekt mit Schulungen an.


Ein weiterer Besuch war bei einer sogenannten CLA („Cluster Level Association“), die ein übergeordneter Dachverband ist und aus Mitgliedern der Selbsthilfegruppen besteht. Eine CLA kümmert sich um übergeordnete Anliegen, diese hier beispielsweise darum, dass Schulmaterialien für besonders arme Kinder zur Verfügung gestellt werden oder um die Finanzierung eines Nachhilfelehrers für Kinder, die die Schule abgebrochen haben, um den Schulstoff aufzuholen, damit sie wieder am Unterricht teilnehmen können. Oder aber auch um Aufklärungsarbeit bezüglich Frühverheiratungen.
Auch ein Kinderclub wurde gegründet, bei dem sich die Kinder wöchentlich treffen, gemeinsam spielen, tanzen und spielerisch lernen – auch Englisch. CLA-Mitglieder fungieren als Lehrerinnen. Auch die Themen Drogen- und Alkoholmissbrauch, Frühverheiratung sowie Kinderrechte werden besprochen – um schon von frühem Alter an ein Bewusstsein zu schaffen.


Unser Projektpartner „Methodist Church Puhalidam“ hat auch ein eigenes Kinderzentrum für Kinder mit Beeinträchtigung, wo die Kinder betreut werden und Zugang zu Bildung, Berufsausbildungen und Inklusion gesichert wird. Die kleineren Kinder zeichnen und schreiben gerade, als wir kommen, die größeren bekommen eine berufspraktische Ausbildung: die eine Hälfte im Computerraum, wo sie in IT geschult werden, die andere Hälfte lernt mit einem ehemaligen Schüler des Zentrums, der im Rollstuhl sitzt, verschiedene Handarbeiten mit Palmblättern. Die Produkte, die in diesem Klassenzimmer entstehen, werden auf Märkten verkauft sowie einmal im Jahr im Rahmen einer großen Ausstellung angeboten.


Zudem gibt es auch in den staatlichen Schulen eigene Klassen für Kinder mit Beeinträchtigung. Die Klasse, die wir besuchen, gibt es seit 2019 und wird aktuell von sieben Kindern besucht. Zwei Lehrerinnen, die inklusive Pädagogik studiert haben – eine davon ist eine Mitarbeiterin der Kindernothilfe, die andere wurde vom Staat bestellt – betreuen die Kinder. Die Kinder können diese Spezialklassen ab 6 Jahren und bis 20 besuchen, danach erhalten sie Berufsausbildungen im Zentrum. Die Kinder mit Beeinträchtigungen können vielen Aktivitäten gemeinsam mit den anderen Kindern der Schule machen, beispielsweise finden Schulfeierlichkeiten gemeinsam statt, ebenso der Sportunterricht, Werken oder das Frühstück. Auch Freundschaften zwischen beeinträchtigten und nicht-beeinträchtigten Kindern entstehen dadurch. Zudem können die Kinder innerhalb der Schulen in reguläre Klassen integriert werden, wenn sie so weit sind.


In Ampara, weiter im Süden des Landes, warten bereits die Frauen der Selbsthilfegruppe „Licht“ auf uns. Bevor sie in die Gruppe eingetreten sind, waren sie gänzlich von ihren oft alkoholkranken Männern abhängig, das Geld war immer viel zu knapp. Einige erzählen, dass ihre Männer anfangs dagegen waren, dass sie die wöchentlichen Treffen besuchen. „Erst wollte er mich nicht zu den Treffen gehen lassen. Jetzt ist er sogar derjenige, der die Samosas und Hoppers kocht, die ich verkaufe“, lacht eine der Frauen. Die Männer sehen mittlerweile den Nutzen der Gruppe und verstehen die Wichtigkeit. „Mein Mann ist froh, dass ihm die Last abgenommen wurde, allein für unsere Familie sorgen zu müssen.“ Die Frauen sind unabhängiger, führen ein Haushaltsbuch, tragen alle zum Familieneinkommen bei, sparen 120 Rupien wöchentlich (gestartet haben sie mit 50 Rupien wöchentlich) und haben sich schon kleine Geschäftsideen überlegt. Ihr momentanes Sparvolumen beträgt insgesamt 113.000 Rupien.


Als Selbsthilfegruppe haben sie auch ein gemeinsames Geschäft: die Herstellung von Kokosöl für Öllampen sowie zum Kochen. Die Kokosnüsse kommen aus dem Garten einer der Frauen. Einig sind sich alle, dass die Selbsthilfegruppe ihr Leben grundlegend verändert hat, da viele der Frauen vorher einsam waren und mit ihren Problemen allein gelassen. Jetzt sind sie sozial aktiv und gut vernetzt. Das Gemeinschaftsgefühl ist überwältigend, was auch wir deutlich spüren.
In Ampara lernen wir auch unseren Projektpartner „Sri Lanka Unites“ (24271) kennen, wo wir zu Beginn gleich ganz herzlich von einer Familie in ihrem Zuhause in Empfang genommen wurden. Die drei Kinder im Alter von neun bis 15 Jahren sind alle Absolvent*innen des dreimonatigen SLU-Versöhnungsworkshops, zu dem der Projektpartner SLU mehrmals jährlich Kinder verschiedener Religionszugehörigkeiten und Ethnien einlädt. Oberstes Ziel ist es, über alle Grenzen hinweg Freundschaften zu schaffen und zu pflegen, um dadurch Frieden und Verständigung nach dem Bürgerkrieg zu fördern, der eine tiefe Kluft in der Bevölkerung Sri Lankas hinterlassen hat. Nach Abschluss des Workshops sollen die Teilnehmer*innen zurück in ihren Dörfern und Schulen eigene Kinderclubs gründen, in denen Kinder verschiedener Religionen (Muslime, Hindus oder Christen) oder verschiedener Sprachzugehörigkeit (Tamil oder Singhalesisch) vertreten sind.


Das Projekt kommuniziert diesen Versöhnungsgedanken nicht vordergründig – „denn sonst würden keine Kinder kommen, um mitzumachen“, erzählt SLU-Mitarbeiter Sinan. Zu tief sitzen die Vorurteile gegenüber den anderen Religionen oder Sprachzugehörigkeiten. Selbst im eigenen Dorf würden Hindus und Muslime oder Christen und Muslime niemals miteinander zu tun haben wollen. Ganz zu schweigen davon, befreundet sein zu wollen.
Wie also werden die Kinder für die Workshops gewonnen? „Wir bieten Englischklassen sowie IT-Unterricht an. Wenn die Eltern hören, dass die Kinder kostenlos an solchen Kursen teilnehmen können, sind sie sofort begeistert und schicken ihre Kinder gerne“, sagt Lehrerin Jenny. Darüber hinaus werden dann die Themen Freundschaft, Gewalt, aber auch Frieden zwischen den Bevölkerungsgruppen und Umweltschutz bearbeitet. „Die Vorurteile sitzen bei allen tief. Würden wir unsere Workshops damit bewerben, dass wir dort über Frieden sprechen – würde niemand kommen. Aber wenn wir sagen, dass sich die Englischkenntnisse der Kinder in diesen drei Monaten drastisch verbessern werden – dann haben wir volle Kurse“, sagt SLU-Mitarbeiter Sinan. Denn alle wollen Englisch lernen. „Es ist die Eintrittskarte für ein besseres Leben und eine gute Ausbildung. Und niemand hier traut dem Schulsystem in Sri Lanka. Jeder, der es sich leisten kann, setzt auf Nachhilfekurse und private Lehrer an den Wochenenden.“


Alle drei Kinder, die wir hier treffen, haben bereits eigene Kinderclubs gegründet. Bei jedem machen zehn bis elf Kinder mit. Sie treffen sich regelmäßig, meist in der Schule oder in der Nähe, spielen, singen und helfen einander bei Hausaufgaben. Sie planen gemeinsame Aktivitäten, wie beispielsweise kürzlich ein Drachensteig-Fest, und besuchen einander, sollte eines der Kinder krank sein. Sie treffen sich auch für Sozialarbeit in der Gemeinde, helfen etwa beim Saubermachen der Schule oder des Spielplatzes. Die nächste geplante Aktivität ist ein Tag, an dem gemeinsam der nahegelegene Strand gesäubert werden soll.
Zu Beginn ist die Arbeit immer schwierig. Die Kinder sprechen nicht miteinander, können es oft auch gar nicht aufgrund der Sprachenbarriere. Aber nach ein paar Tagen öffnen sie sich, spielen gemeinsam, beginnen, sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Daraus entstehen oft wunderbare Freundschaften.


800-900 Kinder nehmen so jährlich an den SLU-Workshops teil und werden Botschafter*innen für den Friedensgedanken. Mehr als 30.000 Absolvent*innen gibt es seit Kriegsende. „Es ist die größte Jugendbewegung in Asien“, sagt SLU-Mitarbeiter Sinan. Er ist seit 2012 Teil der Bewegung, hat damals selbst an einem der Workshops teilgenommen. Und dabei seinen besten Freund und langjährigen Wegbegleiter, einen Hindu, kennengelernt. „Ich selbst bin Muslim und spreche Tamil. Vor dem Workshop hatte ich nicht ein Wort jemals mit einem Singhalesen gesprochen. Heute habe ich Freunde aller Sprachen und Religionen im ganzen Land.“
Die SLU-Mitarbeiter*innen leben vor, dass Freundschaft und Verständigung über die Religionsgemeinschaften und Kulturen hinweg möglich sind. Nach und nach legen auch die Eltern der Kinder ihre Vorurteile gegenüber den anderen Religionsgruppen und Sprachgruppen schrittweise ab und akzeptieren es, wenn die Kinder neue Freund*innen mit nach Hause bringen. „Unser Leben wurde so viele Jahre nur vom Krieg dominiert. Wir wollen, dass unsere Kinder ein anderes, ein besseres Leben führen können. Dass sie Englisch sprechen können, sich unter andere Menschen mischen, ohne Angst zu haben“, sagt eine Mama. Die Kinder im Projekt haben gelernt, Gemeinschaft zu leben, Freundschaften über Grenzen hinweg zu gründen. All diese Dinge bringen sie auch nach Hause und ihren Eltern bei.


In dem Dorf Norwood, das sich im Zentrum Sri Lankas befindet, dürfen wir das Kinderzentrum unseres Projektpartners SLU besuchen. Die Kinder haben eine große Show für uns vorbereitet, tanzen, singen, sagen Gedichte auf und spielen Theater. In den Liedern geht es um Kinderrechte und darum, dass jeder Mensch gut so ist, wie er ist. In Gesprächen mit den Kindern erfahren wir, dass die meisten von ihnen jeden Tag herkommen und dass es ihnen hier viel besser als in der Schule gefällt. Wir spüren auch die ehrliche Freude der Mitarbeiter*innen, wenn sie mit den Kindern interagieren und über die Kinder sprechen. Das Kinderzentrum ist ein Ort des Lernens, des Spielens und Lesens, aber vor allem ein Ort der Freundschaften über Grenzen hinweg. „Die Kinder lernen hier über ihre Rechte, lernen, dass sie jeder Religion nachgehen können. Aber sie können hier auch einfach ihre Hausaufgaben machen, die Bibliothek oder die Brettspiele nutzen“, erzählt die Leiterin des Zentrums. Gemeinsam werden auch Spielenachmittag verbracht, mit Spielen, die das Teambuilding fördern, wie beispielsweise Cricket, dem Nationalsport in Sri Lanka. Und die Kinder werden dazu angeleitet, Kinderclubs zu gründen und sich gemeinsam in diesen Clubs zu treffen. Sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen – füreinander da zu sein. Und was machen die meisten am liebsten? „Filme anschauen!“, sind sich alle Kinder einig.


Überwacht von einem Supervisor treffen wir einige Teepflückerinnen bei der Arbeit. Sie sind alle barfuß und arbeiten in der prallen Sonne ohne Pause. Wespenattacken und Blutegel sind ein Problem, erzählen sie. Ihre Blase müssen die Frauen im Stehen während des Arbeitens entleeren. Sie nehmen sich nur kurz Zeit, um mit uns zu sprechen – denn jede Minute, in der sie nicht pflücken, ist ein möglicher Verdienstentgang. 18 Kilogramm Tee müssen die Frauen täglich mindestens pflücken, dann bekommen sie 1000 Rupien, jeder Extra-Kilo bringt 40 Rupien zusätzlich.


Die reihum ausgegebenen Mikrokredite der Selbsthilfegruppen geben den Frauen Unabhängigkeit von den Plantagenbesitzern. Denn zuvor waren sie auf Kredite von ihnen abhängig, um sich zum Beispiel etwas für ihr „Haus“, das gar nicht ihnen gehört, sondern den Plantagenbesitzern, anzuschaffen. Diese Kredite wurden aber mit extrem hohen Kreditraten vergeben, die sie niemals zurückzahlen konnten, da es den Plantagenbesitzern in erster Linie darum geht, die Frauen in eine Abhängigkeit zu bringen und sie so ein Leben lang an die Plantage zu binden.
Die meisten der Frauen sind Tamil-sprechende Hindus aus dem Süden Indiens. Sie wurden vor 200 Jahren von den Briten auf die Plantagen gebracht, um für sie zu arbeiten. Der Großteil von ihnen besitzt keine nationale ID-Karte und meist auch keine Geburtsurkunde oder weitere Papiere. Mit Hilfe des Projekts werden diese Papiere nun angeschafft, ID-Karten beantragt und somit auch staatliche Leistungen wie medizinische Grundversorgung oder Pensionsansprüche möglich gemacht.


Ziel der durch das Projekt gegründeten Selbsthilfegruppen ist es, den Frauen neue und eigene Einkommensmöglichkeiten jenseits des Teepflückens zu schaffen. In einer neuen Kooperation mit dem heimischen Netzwerk Good Market mit Sitz in Colombo erhalten die Frauen ein Coaching, um eine Unternehmensstrategie zu entwickeln. Sie werden so weit geschult, dass sie gemeinsam ihre eigene Firma gründen können und dann die mit ihren in den Selbsthilfegruppen hergestellten Produkte gemeinsam regional und über Good Market sogar national vermarkten können.
Die Frauen, die wir treffen, haben sich bereits einen Namen – „Mountain Taste“ – und Produkte überlegt, nämlich Pickles und Jams (also Eingelegtes, Chutneys und Marmeladen). Das Unternehmen wird von unter Anleitung von Good Market offiziell als PVT (Private Limited Company) gegründet und registriert und erhält damit auch ein eigenes Bankkonto. Buchhaltung und Rechnungswesen stehen somit ebenfalls auf dem Programm des Trainings. Als Startkapital für das Unternehmen erhalten die Frauen 200.000 Rupien von Good Market. Nach Abschluss des Prozesses werden sie in der Lage sein, ihre Produkte national zu vermarkten und im September auch schon über Supermärkte zu vertreiben.


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