Kindernothilfe Österreich. Kindern Zukunft schenken.

Bolivien: Klima-Kids retten die Zukunft ihres Dorfes

Die Folgen des Klimawandels treffen die Menschen in den Anden Boliviens besonders heftig. Damit sie trotzdem in ihren Dörfern eine Zukunft haben, lernen Jugendliche, sich an die verändernden klimatischen Bedingungen anzupassen und die Dorfbevölkerung mitzuziehen.

Sie sollen es richten. Fünf Schüler im Alter von zwölf bis 16 Jahren mit besonders wachem Geist und scharfem Blick darauf, wie der Klimawandel das Leben in Norte Potosí im bolivianischen Hochland verändert. Gerade haben die Mitglieder des Jugendklubs sich mit den UN-Nachhaltigkeitszielen befasst. „Keine Armut, kein Hunger, Zugang zu sauberem Wasser, Gesundheit – das sind alles sehr wichtige Ziele. Aber das wichtigste Ziel sind Maßnahmen zum Klimaschutz. Denn wenn das Klima kippt, ist keines der anderen Ziele erreichbar“, fasst Sindy die Lage zusammen. Die Schülerin bringt damit die Problematik so genau auf den Punkt, dass wir noch mal nachfragen, ob sie wirklich erst 16 ist. Dass sie und die übrigen “Klima-Kids“ die Zusammenhänge so präzise erfassen, liegt vor allem daran, dass sie in einer Gegend leben, die besonders stark vom Klimawandel betroffen ist.

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Ein Dorf mit Schule in einer sehr kargen Andenlandschaft (Quelle: Christian Nusch)
Im Vordergrund die Schule des Kindernothilfepartners NorSud (Foto: Christian Nusch)
Ein Dorf mit Schule in einer sehr kargen Andenlandschaft (Quelle: Christian Nusch)
Im Vordergrund die Schule des Kindernothilfepartners NorSud (Foto: Christian Nusch)

Um die „Bildungseinheit Nummer 1“, wie die Schule reichlich unprosaisch genannt wird, in der Nähe des Städtchens Tacobamba zu erreichen, sind wir von Sucre aus stundenlang in den Anden unterwegs. Das Bild ändert sich während der langen Fahrt kaum: ausgetrocknete Flussbetten, beige-braune Hänge, ab und an ein leeres Wasserbecken. Diese Becken wurden noch vor zehn, 15 Jahren mit großem Aufwand gebaut, um die sturzflutartigen Regenfälle aufzufangen und damit Felder zu bewässern.

Inzwischen sind sie weitgehend nutzlos, denn es regnet kaum noch. Kein Wunder, dass überall verfallene Häuser stehen. Sie gehörten Bauerfamilien, die aufgaben, in die Städte zogen und nun in den wachsenden Armutsgürteln von Sucre, Cochabamba oder Santa Cruz leben. Oder die im tropischen Tiefland ein Stück Wald gerodet haben, um dort Coca anzubauen. Beides bringt jeweils seine ganz eigenen Konflikte und Probleme mit sich, aber das sind andere Geschichten. Eine wirklich gute Alternative ist die Migration jedenfalls nicht. Deshalb setzt das Projekt des Kindernothilfepartners NorSud alles daran, den Kindern und Jugendlichen Methoden an die Hand zu geben, mit denen sie künftig noch in ihrer Heimat überleben können.

Zukünftig Kämpfe ums Wasser

„Für uns hier in Norte Potosí ist der Klimawandel eine Katastrophe. Weil es nicht regnet, wachsen keine Kartoffeln und kein Mais. Das macht uns allen hier in der Region sehr große Sorgen. Und es wird noch schlimmer werden“, sagt Celia Alegria Quispe. „Ich fürchte, dass wir hier früher oder später gewaltsame Kämpfe um das Wasser sehen.“ Celia ist Lehrerin und für den Jugendklub zuständig. „Wenn unsere Schülerinnen und Schüler auch in Zukunft hier überleben sollen, müssen sie lernen, sich an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen.“ Das bedeutet unter anderem: Sie müssen Maßnahmen entwickeln, wie sie die Beschaffenheit der Böden und die Wasserversorgung verbessern können. Celia hat die fünf Klima-Kids dieses Jugendklubs ausgewählt. Gefragt zu werden, ist eine Auszeichnung. Sie bringen Gemeinsinn, gute Ausdrucksfähigkeit und Führungsqualitäten mit. Denn diese Schüler, so die Hoffnung, sollen in ein paar Jahren dazu beitragen, dass die Menschen auch in Zukunft ihre Ernährung sichern und dadurch in ihren Dörfern bleiben können.

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Bolivien: Lehrerin Celia vor Gemälden, die eine gesunde und eine überhitzte Erde zeigen (Quelle: Christian Nusch)
Lehrerin Celia Alegria Quispe freut sich über das Engagement der Klima-Kids (Foto: Christian Nusch)
Bolivien: Lehrerin Celia vor Gemälden, die eine gesunde und eine überhitzte Erde zeigen (Quelle: Christian Nusch)
Lehrerin Celia Alegria Quispe freut sich über das Engagement der Klima-Kids (Foto: Christian Nusch)

Die Schülerinnen und Schüler davon zu überzeugen, als Klima-Kids bei dem Jugendclub mitzumachen, war nicht schwer. „Sie sehen ja, dass die Lage schwierig ist, deshalb sind sie bereit, sich zu engagieren“, ist die Erfahrung von Celia. Das Bewusstsein der Jugendlichen dafür, dass es ein gewaltiges Problem gibt, ist groß. „Viele Familien haben nicht mehr genug zu essen, weil es zu wenig regnet“, meint der 13-jährige Cristian. „Wir wollen etwas für die Gemeinschaft tun und dabei mithelfen, dass es für unsere Generation eine Zukunft gibt“, erklärt Ailyn, warum sie jede Woche ihre Freizeit opfert, um neben dem normalen Schulstoff möglichst viel über den Klimawandel, seine naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Überlebensstrategien zu lernen.

Ganz wichtig sind auch die Workshops zu Rhetorik und Didaktik. Der Jugendklub soll kein exklusives Geheimwissen sammeln, sondern seine Mitglieder sollen zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden. Und das sind sie bereits.

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Kochen auf selbst gebauten raucharmen Öfen

In einem Nebengebäude sind Eltern aus der Umgebung zusammengekommen. Die Klima-Kids Franco und Eduarda zeigen ihnen, wie man mit einfachen Mitteln eine Feuerstelle baut, die weniger Holz verbraucht. „Bäume sind wichtig, weil sie mit ihren Wurzeln das Wasser in der Erde halten und an heißen Tagen für Kühle sorgen. Deshalb dürfen wir sie nicht einfach fällen, sondern müssen sehr sparsam mit Feuerholz umgehen“, erklärt der zwölfjährige Franco den Erwachsenen, während er den Ofen mauert. Ganz nebenbei sind diese Öfen weniger gesundheitsschädlich, denn sie produzieren weniger Rauch – rußende Feuerstellen sind in den Anden Hauptursache für häufig auftretende Atemwegserkrankungen.

Holz ist nur eine der vielen Ressourcen, mit denen die Menschen in den Anden noch sparsamer umgehen müssen, als bisher schon. Das kostbarste Gut ist Wasser. Es war in dieser Region mit ihren extremen klimatischen Bedingungen schon immer knapp, aber früher fiel genug gleichmäßiger Regen, um die Quellen zu speisen. Das hat sich geändert. Es regnet nur noch sehr selten und dann so heftig, dass das die steilen Abhänge hinunterschießende Wasser eher schadet als nutzt. In Zukunft wird es darauf ankommen, jeden Tropfen aufzufangen und so effizient wie möglich zu nutzen. Wie funktionieren Anlagen zur Wasserernte? Worauf muss man achten, wenn man das Regenwasser auffängt und in Tanks leitet? Welche Vorteile haben Gewächshäuser, und wie unterscheidet sich der Anbau dort von dem auf dem Feld? Das alles sind Fragen, mit denen sich die Mitglieder des Jugendklubs auseinandersetzen.

Eine der wichtigsten täglichen Aufgaben des Jugendklubs ist es, sich um das Gewächshaus zu kümmern. Es ist ein einfacher Bau aus Adobeziegeln, der anstatt mit einem klassischen Dach mit durchsichtigem Plastik gedeckt ist. Aufgeheizt von der Sonne und geschützt vor dem eisigen Andenwind gedeihen die Pflanzen hier gut – und brachen nur wenig Wasser, denn die Feuchtigkeit hält sich in dem abgeschlossenen Raum.

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Drei Jugendliche arbeiten im Gewächshaus (Quelle: Christian Nusch)
Cristian, Franco und Ailyn lernen, welche Vorteile es hat, Gemüse im Gewächshaus anzubauen (Foto: Christian Nusch)
Drei Jugendliche arbeiten im Gewächshaus (Quelle: Christian Nusch)
Cristian, Franco und Ailyn lernen, welche Vorteile es hat, Gemüse im Gewächshaus anzubauen (Foto: Christian Nusch)

"Der Klimawandel nimmt Mädchen und Buben die Zukunft“

Die Stiftung NorSud begleitet diesen und elf weiter Jugendklubs in der Region. Die Kinderrechtsorganisation arbeitet schon lange mit Schulen in Norte Potosí zusammen. Während es vor einigen Jahren noch um den Bau von Gebäuden und die Finanzierung von Lehrmitteln ging, sieht Sandra Quise Avila heute die Anpassung an den Klimawandel als ihre Hauptaufgabe. „Der Klimawandel verletzt auch die Kinderrechte, denn er nimmt den Mädchen und Buben die Zukunft, das Recht auf Leben“, sagt die Projektleiterin. „Indem die Mitschülerinnen und -schüler und damit auch ihre ganzen Familien von den Mitgliedern des Jugendklubs lernen, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, können sie sich dieses Recht zurückerobern, denn sie erhalten Überlebensstrategien.“

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Sandra von Norsur, Franco und Ailyn hocken oben auf einem Wasserernter (Quelle: Christian Nusch)
Projektleiterin Sandra Quise Avila mit Ailyn und Franco hoch oben auf einem "Wasserernter" (Foto: Christian Nusch)
Sandra von Norsur, Franco und Ailyn hocken oben auf einem Wasserernter (Quelle: Christian Nusch)
Projektleiterin Sandra Quise Avila mit Ailyn und Franco hoch oben auf einem "Wasserernter" (Foto: Christian Nusch)

Für Lehrerin Celia, die die Klima-Kids betreut, ist Sandra eine stets erreichbare Ansprechpartnerin. „Wir sind immer über WhatsApp miteinander in Kontakt. Sandra berät mich, wenn ich Fragen habe, zum Beispiel, wie man ein Projekt besser umsetzen oder eine bestimmte Sache schlüssiger erklären kann.“ Obwohl sie Naturwissenschaften unterrichtet, sind auch für Celia viele Zusammenhänge rund um den Klimawandel neu. Als sie studierte, stand das Thema noch nicht auf dem Lehrplan und staatliche Fortbildungen sind nicht vorgesehen. NorSud füllt diese Lücke. „Ich lerne selbst noch sehr viel dazu. Ohne dieses Projekt könnte ich das Thema nicht vermitteln.“

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Fünf Jugendliche in einem Umweltschutz-Workshop (Quelle: Christian Nusch)
Die Klima-Kids in einem Workshop zum Umweltschutz (Foto: Christian Nusch)
Fünf Jugendliche in einem Umweltschutz-Workshop (Quelle: Christian Nusch)
Die Klima-Kids in einem Workshop zum Umweltschutz (Foto: Christian Nusch)

Plastikmüll selbst in den entlegensten Dörfern

Bei seiner Arbeit legt der Kindernothilfepartner seiner auch großen Wert darauf, dass die Kinder und Jugendlichen selbst etwas zum Umweltschutz beitragen. Die Lebensweise in den Dörfern ist so einfach, dass sich kein CO2 einsparen lässt. Würden alle Menschen so bescheiden leben wie die Andenbevölkerung, gäbe es den Klimawandel nicht. Es ist eine der großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit, dass ausgerechnet diejenigen, die am wenigsten zu der Krise beitragen, besonders darunter leiden. Doch beim Umgang mit Plastik ist das anders. Selbst in den abgelegensten Dörfern, die nicht einmal Googlemaps kennt, gibt es inzwischen ein Problem mit Verpackungsmüll. „Bevor ich an diesem Projekt teilgenommen habe, habe ich Müll einfach weggeschmissen“, erinnert sich Franco. „Mir war einfach nicht klar, welchen Schaden Plastik in der Natur anrichtet.“

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Zwei Jugendliche klären Grundschüler anhand eines großen Bilderbuchs über Umweltschutz auf (Quelle: Christian Nusch)
Sindy und Cristian gehen in die Grundschulen und klären die Kinder anhand eines großen selbst gemachten Bilderbuchs über Umweltschutz auf (Foto: Christian Nusch)
Zwei Jugendliche klären Grundschüler anhand eines großen Bilderbuchs über Umweltschutz auf (Quelle: Christian Nusch)
Sindy und Cristian gehen in die Grundschulen und klären die Kinder anhand eines großen selbst gemachten Bilderbuchs über Umweltschutz auf (Foto: Christian Nusch)
Seit Franco das in den wöchentlichen Sitzungen gelernt hat, hat er nicht nur sein Verhalten geändert, sondern spricht auch mit anderen Kindern darüber. Gemeinsam haben die Klima-Kids ein großformatiges Bilderbuch erstellt, mit denen sie die Grundschulklassen für das Thema sensibilisieren. Und in Upcycling-Workshops bringen sie allen Kindern bei, wie man aus alten Plastikflaschen Stiftehalter und andere nützliche Dinge bastelt.
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Die fünf Klima-Kids (Quelle: Christian Nusch)
Die fünf engagierten Klima-Kids: Cristian, Eduarda, Sindy, Franco und Ailyn (Foto: Christian Nusch)
Die fünf Klima-Kids (Quelle: Christian Nusch)
Die fünf engagierten Klima-Kids: Cristian, Eduarda, Sindy, Franco und Ailyn (Foto: Christian Nusch)
Als nächstes werden sie wichtige Infos zum Thema Aufforstung lernen. Später sollen dann alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam Baumsetzlinge pflanzen und versorgen. Die Hoffnung ist, dadurch den Wasserhaushalt zu stabilisieren, sodass die Quellen auch bei längeren Dürreperioden nicht mehr austrocknen. Das wird viel harte körperliche Arbeit kosten, aber das schreckt Sindy nicht ab. „Der Planet ist unser einziges Zuhause. Deshalb müssen wir ihn schützen“, meint sie, und Ailyn ergänzt: „Nur wenn wir das tun, können wir als Menschheit überleben.“
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Umweltaufklärung per Puppentheater (Quelle: Christian Nusch)
Gebannt verfolgen die Kinder, wie die Erde krank wird, als die Bäume gefällt werden (Foto: Christian Nusch)
Umweltaufklärung per Puppentheater (Quelle: Christian Nusch)
Gebannt verfolgen die Kinder, wie die Erde krank wird, als die Bäume gefällt werden (Foto: Christian Nusch)

Umwelterziehung per Puppentheater

Auch die Lehrer engagieren sich. Mithilfe eines von NorSud zur Verfügung gestellten Puppentheaters führen sie ein Aufklärungsstück für die jüngeren Schülerinnen und Schüler auf. „Sie haben meine Lungen abgeschnitten“, ruft die Erde, als Bäume gefällt werden. „Ich kann nicht mehr atmen!“ Als sie krank wird, diagnostiziert ein Arzt „Calentamiento Globalsistes – Globale Erwärmung“. Die Kinder wirken betroffen. Am Ende nimmt die Erde ihnen das Versprechen ab, ihren Müll künftig nicht mehr in die Natur zu werfen.
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