Myanmar: Selbsthilfegruppen stärken Frauen und Familien
Seit dem Militärputsch 2021 kommen die Menschen in Myanmar nicht zur Ruhe. Sprengstoffattentate, Luftangriffe, bewaffnete Rebellengruppen – die Bevölkerung lebt in Angst und Schrecken. Viele Schulen sind geschlossen, Felder können nicht mehr bestellt werden, Nahrungsmittel werden knapp, Menschen flüchten in die Nachbarländer. Seit Oktober 2023 hat sich der Konflikt weiter verschärft, besonders im Norden des Shan-Staates an der Grenze zu China. Hier ist es verboten, zwischen 18 Uhr abends und sechs Uhr morgens das Haus zu verlassen. Denn es herrscht Ausgangssperre. Wer draußen erwischt wird, den tötet das Militär mit einem Kopfschuss. Mit Selbsthilfegruppen unterstützt die Kindernothilfe Frauen dabei, sich und ihre Familien besser durchzubringen.
Nar Phae wohnt in Nar Kyu im nördlichen Shan-Staat. Das kleine Dorf erreicht man nur über eine zwölf Kilometer lange unbefestigte Straße, die von der Hauptstraße von Lashio nach Hseni abgeht. Die meisten Familien in dieser Region leben von der Landwirtschaft. „Wir bauen Reis und Mais an, wie viele hier in der Region“, erzählt Nar Phae. „Aber aus Angst vor Luftangriffen arbeiten wir nicht mehr auf den Feldern.“ Viele Brücken wurden von den Bombern zerstört, sodass manche Bauern ihr Stück Land auch gar nicht mehr erreichen können. Wegen nicht explodierter Landminen ist es gefährlich, sich über Land zu bewegen. Die Tiere der Bauern sind durch Luftangriffe verendet oder wurden von den Soldaten, die ins Dorf kamen, geschlachtet und gegessen. Ohne Vieh und ohne Ernten werden Nahrungsmittel knapp, und es fehlt auch das Kapital für die neue Aussaat im nächsten Jahr. „Unsere Männer jagen und fischen, wir Frauen suchen essbare Knollen und Wurzeln. Was wir nach Hause bringen, reicht gerade mal aus, um die Familie satt zu bekommen. Für den Verkauf bleibt nichts übrig, wir haben keine Einnahmen.“
„Immer wieder dringen bewaffnete Gruppen in unser Dorf ein“, klagt Nar Phae. Die anarchische Situation hat die Kriminalitätsrate in die Höhe schnellen lassen. Raubüberfälle, besonders auf Frauen, Mädchen und Jugendliche, sind an der Tagesordnung. Es gibt weder Handynetz noch Internetverbindungen, die Telefonmasten sind abgebrochen. Viele Gemeinden sind von der Strom- und Wasserzufuhr abgeschnitten. „Die medizinische Versorgung funktioniert auch nicht mehr“, sagt die junge Mutter. „Und dass die Schule geschlossen ist, ist ganz schlecht für die Zukunft unserer Kinder! Wir bekommen einfach keine Lehrkräfte mehr – niemand will hier arbeiten, solange die Situation so gefährlich ist. Die Schule musste schließen, meine Tochter hat schon seit einiger Zeit keinen Unterricht mehr.“
Kinder arbeiten, um ihren Eltern nicht zur Last zu fallen
Die Grundschule in Nar Kyu ist die Einzige weit und breit. Ist sie geschlossen, bleibt die Bildung der Dorfjugend auf der Strecke. Für die weiterführende Schule müssten die Mädchen und Jungen nach Lashio, der größten Stadt der Region. „Das ist viel zu weit weg“, erklärt Nar Phae. Wenn ihre Tochter nach der Grundschule weiterlernen möchte, müsste sie in Lashio wohnen. „Aber dazu braucht man viel Geld. Das Leben in der Stadt ist sehr teuer. Nur reiche Eltern können sich das erlauben.“
„Für die meisten Kinder der Lahu (eine ethnische Minderheit im Shan-Staat) ist es normal, sich nach der Grundschule einen Job zu suchen, z. B. als Kellner, als Tagelöhner auf dem Bauernhof oder als Hausmädchen“, sagt Supanee Taneewut, Kindernothilfe Country Manager für Thailand und Myanmar. „Die Eltern versuchen, ihre Söhne und Töchter bei der Ausbildung zu unterstützen. Aber die Kinder selbst haben ein schlechtes Gewissen, dass ihre Eltern sich abrackern, um die Schulgebühren zu bezahlen. Sie wollen ihnen nicht zur Last fallen. Und 19 Schulen im nördlichen Shan-Staat wurden wegen der Kämpfe in den vergangenen zwei Jahren ohnehin geschlossen. 80 Prozent der Kinder bekommen mittlerweile keine Schulbildung mehr.“
Ein Land mit 135 ethnischen Gruppen, verschiedenen Sprachen und Religionen
Myanmar, das frühere Birma, ist seit vielen Jahren Schauplatz von Konflikten und politischer Instabilität. Bis 1937 Teil von Britisch-Indien, dann selbst verwaltete Kolonie, wurde es 1948 unabhängig. Nach einem Putsch im Jahr 1962 regierte fünf Jahrzehnte lang ein Militärregime, das die Menschen in Armut und Unterdrückung versinken ließ. 2015 kam das erste Mal seit Jahrzenten eine demokratisch gewählte Regierung unter der Führung der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi an die Macht. Das Militär behielt allerdings weiterhin einen beträchtlichen politischen Einfluss. Es besetzte ein Viertel der Parlamentssitze und wichtige Ministerposten. Bei wichtigen politischen Entscheidungen hatte es die Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Nach einer verlorenen Wahl 2021 putschte es sich erneut an die Macht. Wichtige Politikerinnen und Politiker wurden festgenommen und der Ausnahmezustand verhängt. Der Putsch führte zu zahlreichen Protesten, die gewaltsam unterbunden wurden.
Jeder Protest gegen das Militär wird brutal niedergeschlagen
Frauen helfen sich selbst – als Gruppe
Eine Krankenhausgeburt dank der Selbsthilfegruppe
Nar Laws Mann ging schließlich als Wanderarbeiter nach China, um die angespannte finanzielle Lage der Familie zu verbessern. In den ersten Monaten erhielt die Familie regelmäßig einen kleinen Geldbetrag von ihm. Dann beschlagnahmte sein Chef plötzlich seinen Pass, bezahlte ihm monatelang kein Gehalt, und die Überweisungen nach Hause fielen aus.
Das ist jetzt mehr als ein Jahr her. Während der einjährigen Sparphase musste Nar Law ein Notdarlehen von ihrer Gruppe aufnehmen, als sie kurz vor der Geburt ihres dritten Kindes stand. „In der Vergangenheit war es nicht einfach, Geld zu leihen. Menschen wie wir werden herablassend behandelt, niemand will uns Geld leihen, egal wie dringend die Situation ist. Dank der SHG wurde mein Baby im Krankenhaus von Lashio sicher und gesund geboren“, erzählt sie uns glücklich.
65 Selbsthilfegruppen bis 2028
Trotz der prekären Situation im Projektgebiet will der Kindernothilfepartner LYDA sein Ziel erreichen, 65 SHGs mit 1 000 Frauen in 32 Gemeinden bis 2028
zu gründen. „Die Frauen in den Gemeinden sind sehr interessiert an diesen Gruppen und möchten gerne mitmachen“, weiß Supanee Taneewut. „Sie sehen an den bereits bestehenden Gruppen, was Frauen gemeinsam alles schaffen können!“